„Sprache ist ein Kulturvermittler“

Iranist und Kurdologe der Freien Universität hat neues deutsch-kurdisches Wörterbuch verfasst

06.05.2016

 

Der Iranist und Kurdologe Feryad Fazil Omar setzt sich seit mehr als 30 Jahren an der Freien Universität für die Vermittlung und Erforschung der kurdischen Sprache und Kultur ein.

Seit mehr als 30 Jahren setzt sich Feryad Fazil Omar am Institut für Iranistik der Freien Universität Berlin für eine gegenseitige Verständigung der deutschen und kurdischen Sprache und Kultur ein. Kürzlich hat der Studienrat im Hochschuldienst, der zudem Leiter des Instituts für Kurdische Studien in Berlin und Präsident der Sektion Deutschland der Gesellschaft für bedrohte Völker ist, sein drittes Wörterbuch herausgegeben. Der aus dem Nordirak stammende Kurde ist 1978 nach Berlin gekommen. Seit 1982 ist er an der Freien Universität am Arbeitsbereich Kurdische Studien tätig. Campus.leben sprach mit dem Wissenschaftler und Menschenrechtsaktivisten.

Herr Omar, Sie haben bereits drei Wörterbücher zum Deutschen und Kurdischen herausgegeben. Worin unterscheiden sich die Bücher?

Die kurdische Sprache ist kompliziert. Das kurdische Volk ist seit dem 17. Jahrhundert auf verschiedene Länder aufgeteilt, dadurch hat sich die Sprache in den einzelnen Gebieten unterschiedlich entwickelt. Es gibt drei kurdische Hauptdialekte: Kurmandschi (Nordkurdisch), Sorani (Zentralkurdisch) und Südkurdisch. Kurmandschi sprechen die Kurden in der Türkei, in Syrien sowie im irakischen und iranischen Grenzgebiet zur Türkei. Das Sorani wird von den Kurden im größten Teil des Irak und des Iran gesprochen, südkurdische Dialektsprecher leben im Süden des Iran und Irak.

Das kürzlich erschienene Wörterbuch beinhaltet Übersetzungen aus dem Deutschen ins Sorani, gibt also mit ungefähr 110000 Stichwörtern deutsches Gedankengut und die deutsche Mentalität auf Kurdisch wieder. Die wichtigsten Wörter werden mit rund 35000 Beispielen, Sprichwörtern und Idiomen erläutert. Die umgekehrte Variante, Sorani-Deutsch, habe ich 2005 herausgegeben. 1992 wurde mein erstes kurdisch-deutsches Wörterbuch veröffentlicht mit etwa 35000 Stichwörtern im nordkurdischen Dialekt. Demnächst gebe ich noch ein Wörterbuch Südkurdisch-Deutsch heraus, womit dann die drei großen Dialekte abgedeckt wären.

Das Wörterbuch ist in lateinischer und arabischer Schrift verfasst. Warum?

Die kurdische Kultur ist sogar in drei Schriften überliefert. Hier zeigt sich wieder die unterschiedliche Entwicklung der Sprache und Kultur durch die Teilung des kurdischen Volks. Die Kurden benutzen jeweils das in ihrer Heimat vorherrschende Alphabet: in der Türkei seit der Gründung der Republik 1928 das lateinische, im Iran und Irak das arabische, in Syrien beide. In der ehemaligen Sowjetunion wurde sogar das kyrillische Alphabet verwendet, das jedoch Anfang der 1990er Jahre weggefallen ist. Seitdem schreiben die Kurden dort in lateinischer Schrift. Am Arbeitsbereich für Kurdische Studien an der Freien Universität geben wir unsere Publikationen in beiden Schriften heraus. Uns ist wichtig, dass jeder Kurde, egal aus welchem Land, die Möglichkeit hat, dieses Wörterbuch zu benutzen.

Was bedeutet Ihnen die Arbeit an den Wörterbüchern?

Ich bin sehr stolz, dass dieses Wörterbuch nach vielen Jahren intensiver Arbeit endlich vorliegt. Sprache ist ein Kulturvermittler. So wird mit diesem Werk nicht nur die Sprache der Kurden, sondern auch ihre Kultur vermittelt.

Als ich Mitte der 1980er Jahre mit der Arbeit für das erste Wörterbuch begonnen habe, sah die Lage für die Kurden sehr düster aus: Saddam Hussein war dabei, die kurdische Minderheit der irakischen Bevölkerung zu vernichten, in der Türkei hatten sie keine Rechte, in Syrien waren sie nicht als Staatsbürger anerkannt, im Iran galt ihre Sprache offiziell als Dialekt des Persischen. Wir haben hier getan, was für die Kurden in ihrer Heimat verboten war – ihre Sprache und Kultur erforscht und schriftlich festgehalten.

Wie sieht die aktuelle Situation der kurdischen Sprache aus?

Momentan ist sie in einer Phase der Erholung. Seit 1991 gibt es im Nordirak die autonome Region Kurdistan. Dort wird die kurdische Sprache in den Schulen und teilweise an den Universitäten unterrichtet. Zudem gibt es viele Zeitungen und Zeitschriften auf Kurdisch. In Syrien stehen die kurdischen Gebiete zum ersten Mal unter kurdischer Kontrolle. Dort werden jetzt kurdische Schulen eingerichtet. Im Iran wird die Sprache zwar nicht in den Schulen gelehrt, aber Zeitschriften auf Kurdisch veröffentlicht.

Werden an der Freien Universität alle drei Dialekte des Kurdischen unterrichtet?

Am Institut für Iranistik gibt es den Schwerpunkt Kurdische Studien. Hier bieten wir jedes Semester Sprachkurse in Kurmandschi und Sorani an sowie Seminare über die kurdische Literatur, Geschichte und zur Sprachwissenschaft. Alle zwei bis drei Jahre wird auch ein Seminar über die südkurdischen Dialekte und deren Literatur angeboten. Das ist in dieser Art etwas Einmaliges in Europa.

Welche Sprachen und Dialekte sprechen Sie?

Meine Muttersprache ist Sorani. Aber ich bin Dialektologe und spreche und erforsche die meisten kurdischen Dialekte. Außerdem beherrsche ich die für diese Region wichtigen Sprachen wie Persisch, Arabisch, Osmanisch, Türkisch, Aserbaidschanisch und Armenisch. Auch mit den alt- und mitteliranischen Sprachen, die kaum noch gesprochen werden, beschäftige ich mich wissenschaftlich. Für das Verfassen eines Wörterbuchs kann man sich nicht allein mit zwei Sprachen begnügen, sondern muss breite Sprachkenntnisse haben.

Marina Kosmalla